5.11.09

"Es gibt keine wertneutrale Bildung!" Mein Interview mit der BZ vom 6. Juni 09

«Es gibt keine wertneutrale Bildung»

Die Vereinbarkeit von Glauben und Lehrberuf sorgte in letzter Zeit für Diskussionen. Für Grossrat Willfried Gasser (EVP, Bern) ist dies kein Thema. Gerade für einen Lehrer sei es wichtig, offen zum eigenen Glauben zu stehen.

Fordert Offenheit: EVP-Grossrat Willfried Gasser

Fordert Offenheit: EVP-Grossrat Willfried Gasser (Bild: Urs Baumann)

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Die Kritik an der Vereinbarkeit von Glauben und Lehrberuf wird immer lauter. Für den grössten Unmut sorgt die Befürchtung, dass evangelikale Lehrer missionieren könnten. Die Schweizerische Evangelische Allianz, deren Präsident Sie sind, stellt sich hinter die Lehrer. Wieso? Willfried Gasser: Wir setzen uns ein für einen integrierten Glauben, welcher mit dem Alltag in Verbindung steht, sprich mit dem Familienleben, der persönlichen Integrität, dem sozialen Engagement und dem Beruf. Wir wollen keinen Glauben, der als religiöses Ritual auf die Kirche fokussiert. Der Glaube soll das Leben durchdringen. Hier kann es natürlich zu Problemen kommen. Gerade in der Schule, wenn das nicht weise angegangen wird und gewisse Christen versuchen, ihren Glauben anderen überzustülpen. Aber ich gehe davon aus, dass das eine kleine Minderheit ist.

So klein ist die Gruppe offenbar nicht, wie die Ergebnisse eines aktuellen Nationalfondsprojekts an der Pädagogischen Hochschule Bern aufzeigen. Gerade die gezielte Organisation der Freikirchler wird hier als Problem identifiziert. Da sind Sie einer Verschwörungstheorie aufgesessen. Es stimmt nicht, dass Freikirchler an die Pädagogische Hochschule «drängen». Als Mitglied der «Leiterkonferenz der Freikirchen» weiss ich, dass dies noch nie in irgendeiner Form ein Thema war. Aber wenn man geschichtlich zurückblickt, haben Christen über die Jahrhunderte hinweg viel gesellschaftliches Engagement gezeigt. Das christliche Element war entsprechend schon immer stark in der Pädagogik vertreten. Auch die sogenannte «Fischli-Fraktion» ist kein neues Element. Es gab immer einen überdurchschnittlich hohen Anteil bekennender Christen im sozialen Bereich.

Viele Studenten und Lehrer äussern aber immer lauter Ihre Probleme mit den «Freikirchlern» an den Schulen. Auf was führen Sie dies zurück? Zuerst eine wichtige Korrektur. Die Freikirchen sind ein sehr bunter Verband, und bekennende Christen gibt es auch in den Landeskirchen. ‹Die› Freikirchler gibt es also eigentlich nicht. Als Evangelische Allianz ermutigen wir Menschen zu mehr gesellschaftlichem Engagement, und wir wollen die Menschen dafür sensibilisieren, dass der Glaube raus in die Gesellschaft gehört. Diese Überzeugung wird heute auch von vielen Freikirchen vertreten. Vermutlich haben nicht alle die nötige Weisheit im Umgang mit Andersdenkenden. So kann es durchaus sein, dass Studenten die aufeinanderprallenden Weltanschauungen als Problem wahrnehmen, aber auch das ist nicht so neu.

Wo verläuft da genau die Grenze zwischen Glauben und Missionieren im Unterricht? Ich glaube nicht, dass man hier eine scharfe Grenze ziehen kann. Glaube ist letzten Endes eine Haltung. Jeder Lehrer, ob politisch grün oder sehr sozial geprägt, das drückt sich aus. Es gibt ja keine wertneutrale Bildung. Wenn ich zurückblicke auf meine Schulzeit, so wusste ich recht gut, für was die jeweiligen Lehrer eingestanden sind, weil das, was sie waren, eingeflossen ist. Das ist bei Christen nicht anders. Es ist deshalb nicht möglich, Schwarz-Weiss-Grenzen zu definieren. An einer pädagogischen Hochschule müssten die Spannungsfelder anhand eines Leitbildes offen thematisiert werden. Es ist gut, wenn sich Studenten etwas streiten über gewisse Themen. Gerade im Hinblick auf die kulturelle Durchmischung.

Hier geht es ja aber nicht nur um eine Haltung, die jemand einnimmt. Wie das Beispiel der Evolutionstheorie zeigt, haben Evangelikale Mühe, wissenschaftlich zu lehren. Die Gruppe von Christen, welche die ganze Evolutionstheorie ablehnt, ist sehr klein. Wichtig ist den meisten der Schöpfungsglaube, dass es einen Gott gibt, der die Welt erschaffen hat und der nach wie vor eine Beziehung zu uns Menschen sucht. Das macht für mich den Glauben aus. Schöpfung steht nicht automatisch im Widerspruch zur Evolutionstheorie. Aber dort, wo jemand mit dem Darwinismus den Schöpfer wegerklären will, provoziert dies natürlich gläubige Christen, und sie machen darauf aufmerksam, dass auch die Evolutionstheorie nicht alle Fragen beantworten kann.

Argumentieren Sie nicht weltfremd? Wenn solche Glaubensansichten in den allgemeinen Unterricht einfliessen, muss das doch zwangsläufig zu Reibereien mit der Wissenschaft führen? Ich habe das in meiner naturwissenschaftlichen Ausbildung nicht negativ erlebt. Es braucht eine gewisse Bescheidenheit von beiden Seiten. Die Spannung ist aber da und könnte sich noch verstärken, wenn zum Beispiel zunehmend auch muslimische Lehrer an die Schule kommen. Ich denke aber, dass jeder überzeugte Pädagoge hinstehen und sagen kann, was er glaubt. Egal welchem Glauben er angehört. Zu sagen, was man glaubt, und das noch zu begründen, finde ich wichtig für jeden Menschen. Und als Lehrer hat man nun mal eine gewisse Prägung. Die Eltern haben diese ja auch. Ich glaube grundsätzlich, dass christliche Werte viel Positives in die Schulstube hineinbringen können. Diese wurden zum Teil ja auch als humanistische Werte übernommen. Das Problem ist ein gewisser Absolutheitsanspruch, den das Christentum seit je hat. Diesen im Alltag zu leben, ohne dass es für andere bedrängend wird, ist herausfordernd.

Müsste man den Religionsunterricht ausweiten und auf eine wissenschaftliche Ebene heben? Glaubensüberzeugungen fliessen auch in die wissenschaftliche Arbeit ein, aber man muss die Ebenen in der Schule nicht vermischen. Das Verständnis für die Weltreligionen ist sehr wichtig. Ausserdem ist es aber ebenso von Bedeutung, dass der Mensch seine eigenen Wurzeln kennt. Wenn man unsere Kultur mit anderen vergleicht, dann liegen Welten dazwischen. Ich glaube, dass wir in der Schweiz das Christentum als Leitkultur weiterhin pflegen müssen. Je besser ich meine eigene Kultur kenne, desto besser verstehe ich auch die fremden Religionen. Es darf aber nicht in Fanatismus ausarten.

Die Verbindung von Glaube und Lehrberuf ist Ihrer Meinung nach kein Problem? Das haben wir ja mittlerweile über Jahrhunderte bewiesen. Im Gegenteil kann eine gesunde Glaubensüberzeugung den Unterricht eines Lehrers positiv befruchten.

Ist die momentane Diskussion demnach hinfällig? Ich sehe sie als Chance für die pädagogischen Hochschulen, sich bewusster mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, denn eine multikulturelle Schweiz kommt daran nicht vorbei. Aber vieles daran ist sehr aufgebauscht und wird vorbeigehen. (Berner Zeitung)

Erstellt: 06.06.2009, 13:30 Uhr

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