Fragen an den neuen SEA-Präsidenten Wilf Gasser
idea: Braucht die Schweizerische Evangelische Allianz einen Arzt?
Wilf Gasser: Ich habe jedenfalls nicht den Eindruck, dass die SEA speziell einen Psychiater braucht... Aber in einer breiten Bewegung wie der SEA können alle, die sich engagieren wollen, einen wichtigen Beitrag leisten. Wenn mein medizinischer Hintergrund dabei hilfreich ist, freut es mich. Doch ich werde sicher nicht deswegen gewählt.
Was führt Sie zu dieser Aufgabe?
Das Anliegen für das Miteinander im Leib Jesu wurde mir irgendwie in die Wiege gelegt. Es hat ganz stark mit meiner Biographie zu tun. Ich bin ich einer Chrischona-Gemeinde aufgewachsen und habe sie positiv erlebt. Dann habe ich weitere Werte aufgenommen durch mein Engagement in der VBG. Ich habe Freunde und Verwandte im gesamten Spektrum der Gemeinden. Daraus sind bei mir die Freude und die Wertschätzung für die verschiedensten Beiträge im Leib Jesu gewachsen.
Ist Ihr Weg in die Leitung der SEA auch ein Beispiel für Gottes Führung?
Mein Name Willfried ist so etwas wie mein Programm. Ich bin gerne Brückenbauer und sehe gerade in dieser Funktion eine Möglichkeit, meine vielfältigen Erfahrungen einzubringen. Ich habe den Eindruck, ich sei in den vergangenen 30 Jahren auf diese Aufgabe vorbereitet worden.
Wird die SEA unter der Leitung eines Berner EVP-Grossrats politischer?
Ich denke nein. Politik heisst für mich gesellschaftsrelevantes Handeln, und das ist ja schon bisher das Anliegen der SEA. Die SEA soll auch nicht in erster Linie ein politisches Organ sein, sondern wirklich Jesus repräsentieren. Sie soll ein Ausdruck des Leibes sein, den sich Jesus erworben hat. Ich habe keine politische Agenda für die SEA. Das lebe ich an andern Orten aus.
Die politische Ausrichtung der SEA gibt immer wieder zu reden. Wo steht sie?
Die Frage von links und rechts ist für mich völlig irrelevant. Ich möchte vielmehr wissen, was das biblische Wort und Gottes Wesen am besten repräsentiert. Doch auch darüber kann man verschiedener Meinung sein.
Täuscht der Eindruck, die EVP neige eher zur SEA und die EDU eher zum VFG, dem Freikirchenverband?
Ich glaube nicht, dass man das grundsätzlich so sagen kann. Ich vertrete Vineyard ja auch im VFG. Der Unterschied ist sicher, dass der VFG ein hierarchisch strukturierter Verband mit den Leitungspersonen aus den einzelnen Werken ist. Hier geht es mehr um Strukturen. Die SEA ist eine Bewegung. So erlebe ich auch den Unterschied zwischen den beiden Parteien. Die EDU ist eher dogmatisch orientiert und die EVP eher eine weniger klar fassbare Bewegung.
Warum braucht es nach wie vor zwei Verbände?
Gerade wegen ihrer Unterschiedlichkeit. Die SEA repräsentiert auch Christen mit ähnlichen Wertvorstellungen aus der evangelischen Landeskirche und aus den wachsenden nichtverfassten Gemeinden. In vielen ähnlichen Anliegen versuchen wir zusammenzuarbeiten. Doch nimmt der VFG als Interessenverband auch spezifische Aufgaben der Freikirchen wahr, wie die Anerkennungsfrage oder die Steuerbefreiung von Spenden.
Wie erklären Sie einem „Blick“-Reporter den Auftrag und den Stellenwert der SEA?
Die SEA ist eine Bewegung, die Menschen verbindet, die in unserer Gesellschaft biblische Werte zum Tragen bringen und ein Hinweis auf die befreiende Kraft des Evangeliums sein wollen. Die SEA ermuntert die ihr nahe stehenden Leute, in unserer Gesellschaft einen konstruktiven Beitrag zu leisten und so Gottes Wesen sichtbar zu machen. Die SEA repräsentiert rund 250'000 Menschen, welche das Miteinander suchen und schätzen. Wir glauben, dass diese Menschen in der Gesellschaft einen wahrnehmbaren Unterschied ausmachen und verändernd wirken können.
Was soll sich daran unter dem neuen Präsidenten ändern?
Die SEA ist erfreulich gut unterwegs, und ich will den bisherigen Kurs weiter verfolgen. Es liegt mir viel daran, dass wir christliche Werte und Anliegen für die Bevölkerung nachvollziehbar kommunizieren. Denkbar wäre, dass meine grössere Bekanntheit in den Medien auch mehr Angriffsflächen und Provokationen bietet.
Wird die SEA künftig stärker provozieren?
Ich bin nicht der Typ, der um der Provokation willen provoziert. Aber ich werde auch nicht kneifen, wenn ich durch eine klare Stellungnahme zum Provokateur werde.
Bei welchen Themen werden sie demnach provozieren?
Ich denke an Themen wie das Lebensrecht, die Sterbehilfe oder die bessere Integration von Fremden. Aber auch an unseren Beitrag zu einer gerechteren Gesellschaft über unser Land hinaus. Stichwort „Stop Armut“ und die schrittweise Erhöhung der Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens.
Die SEA sorgte im letzten Jahr mit der Kampagne „Stopp Suizid“ für Aufsehen. Und in diesem Jahr?
Ich könnte mir vorstellen, dass wir den ganzen Bereich der Familie noch mehr zum Thema machen. So habe ich auch den Auftrag entgegen genommen, eine Arbeitsgruppe „Familie“ zu gründen. Persönlich wirke ich auch in der Spurgruppe der „Marriage Week“ mit, eine riesige Chance!
Wo wollen Sie ansetzen beim Thema „Familie“?
Ich glaube, dass die Schweizer Bevölkerung konkrete Hilfestellungen braucht, um Familie wirklich zu leben. Mit Ehekursen, Ehevorbereitungen oder Familienberatungen gibts in christlichen Kreisen schon wertvolle Angebote. In dieser Richtung müssen wir uns überlegen, was hilfreich ist für die Gesellschaft.
Planen Sie weitere Arbeitsgruppen?
Einzig im Bereich Senioren sind wir noch dran, das grosse Potenzial vermehrt zu nutzen und zu überlegen, wie sich auch Senioren aktiver beteiligen könnten am gesellschaftlichen Leben.
Befürchten sie nicht eine Verzettelung der Kräfte angesichts von bereits 14 Arbeitsgruppen?
Nein, denn die einzelnen Arbeitsgemeinschaften versuchen ja, bereits bestehende Werke und Fachleute in ihrem Bereich zu vernetzen und dadurch mehr Dynamik und Effizienz zu entwickeln. Es kann aber auch sein, dass wir eine Arbeitsgemeinschaft sterben lassen, wenn sie keine aktuellen Bedürfnisse mehr deckt.
Wie wollen Sie feststellen, was die Basis wirklich bewegt?
Das kann durch unsere Sektionen und die breit abgestützten Arbeitsgemeinschaften geschehen. Wir wollen auch durch eine aktive Medienarbeit die Nase noch vermehrt im Wind haben, um festzustellen, was sich so tut in der Gesellschaft.
Sehen Sie in absehbarer Zeit eine Annäherung an die katholische Bischofskonferenz und den Evangelischen Kirchenbund?
Ich pflege persönliche Kontakte zur katholischen Seite, und werde das weiter tun. Zum Kirchenbund und zum VFG bestehen seit Jahren gute, etablierte Beziehungen, so dass sich nicht speziell etwas ändern muss.
Die Ökumene wird weiterhin kein Thema sein?
Mir ist wichtig, dass ich auf persönlicher Ebene Kontakte auch zu katholischen Christen habe und ihnen Wertschätzung zeige für den Beitrag, der aus dieser Ecke der Kirche kommt. Für Annäherungen auf institutioneller Ebene sehe ich keinen Bedarf. Dazu wäre die Zeit auch nicht reif. Doch mir ist ganz wichtig, dass wir uns als Allianzchristen auch nicht durch Abgrenzung zu anderen Christen profilieren wollen.
Um den von der SEA angeregten Runden Tisch mit Muslimen und Minarettgegnern ist es ruhig geworden. Ist er am Ende?
Wir haben mit allen Beteiligten Stillschweigen vereinbart. Darum kann ich dazu nichts sagen. Doch die Sache ist nicht abgeschlossen.
Bei vielen Freikirchlern ist die Angst vor einer Islamisierung der Gesellschaft gross. Wie reagieren Sie als Christ?
Ich gehe davon aus, dass Jesus auch diese Ängste überwunden hat. Zudem zeigt die Geschichte, dass das Christentum auch in Zeiten von Drohungen und Anfeindungen nicht weniger lebendig war. Für mich ist jedoch nicht der Islam die grosse Bedrohung, sondern die Tatsache, dass sich die Menschen immer mehr von Gott abwenden und grundsätzlich nicht auf ihn ausgerichtet leben. Ich will klar sagen, dass auch ich Respekt habe vor dem radikalen Islam. Doch Angst oder negative Abgrenzungen sind falsche Ratgeber.
In etlichen Gegenden kommt die Evangelische Allianz kaum vom Fleck. Wie lässt sich das ändern?
Die Situation ist uns nicht gleichgültig. Wir haben darum auf diesen Sommer hin einen teilzeitlichen Mitarbeiter angestellt, nämlich Pfarrer Thomas Beerle, Präsident der lokalen Sektion in Buchs im Rheintal. Er soll helfen, den lokalen Sektionen mehr Identität und Schlagkraft zu geben.
Wie viele blühende Allianz-Sektionen gibt es im Moment?
Allianzen mit grosser Ausstrahlung gibt es vielleicht ein Dutzend, so zum Beispiel in Thun, Winterthur, Basel, Biel oder eben Buchs.
Die traditionelle Allianzgebetswoche lockt mancherorts kaum mehr Leute in die Kapellen. Wie soll sie neuen Schwung bekommen?
Die Allianzgebetswoche ist ein zentrales Element. Sie braucht sicher neue Impulse und muss neu entdeckt werden. Das ist eine grosse Aufgabe. Ich habe den Eindruck, dass das lokale Miteinander noch stärker gesucht werden sollte. Und wir sollten uns vermehrt überlegen, wie wir in dieser Woche der ganzen Bevölkerung dienen können. Wir sollten uns mehr nach aussen orientieren.
Viel Beachtung findet Ihre Verteilzeitschrift „4telstunde“, wie jene zur Euro. Könnte damit auch die Medienarbeit der Gemeinde gefördert werden?
Wir fragen uns, ob die „4telstunde“ zur regelmässig erscheinenden Zeitung werden soll. Das wäre wichtig für die Identität der SEA und könnte auch der lokalen Allianz dienen, indem sie zum Beispiel eigene Einlagen beilegen könnte. Geprüft wird auch die verstärkte Zusammenarbeit mit andern Organisationen und Medienwerken.
Noch mehr Evangelisation und Mission: Damit rufen Sie nur Hugo Stamm und seinsgleichen auf den Plan.
Ich kenne Hugo Stamm persönlich. Ich habe nicht den Eindruck, dass er grundsätzlich ein Problem hat, wenn wir als Christen noch mehr Sichtbarkeit bekommen. Für mich ist Hugo Stamm kein Feindbild, vor dem man Angst haben müsste. Es sind ja auch mehr die Tendenzen zur Vereinnahmung, die er anprangert. Aber engagierte Christen bieten natürlich mehr Angriffsflächen. Doch schon Paulus hat gesagt, wir sollten uns freuen, wenn wir angegriffen werden. Sogar ungerechte Angriffe können etwas Positives bewirken. Die SEA will die Christen ermutigen, sich durch Angriffe auch nicht beirren zu lassen. Und es kann übrigens auch eine Chance sein, wenn wir hinterfragt werden oder uns selbst hinterfragen.
Was möchten Sie Hugo Stamm zum Thema Missionierung gerne einmal sagen?
So wenig wie die Katze das Mausen lassen kann, können wir es lassen, die gute Nachricht zu verbreiten. Jeder Mensch, der eine starke Überzeugung hat, trägt ein missionarisches Element in sich. Auch Hugo Stamm! Ich wünsche ihm, dass er vermehrt auch ein Auge dafür gewinnt, wie eine Beziehung zu Jesus Christus Menschen positiv verändern kann.
Was brächte es der Schweiz, wenn die SEA doppelt so viele Mitglieder hätte und einen viel höheren Stellenwert bekäme?
Wir hätten mehr Bürger, die Verantwortung übernehmen und sich für eine positive Veränderung der Gesellschaft einsetzen wollen. Denn Allianz-Christen haben nicht nur in der Vergangenheit überdurchschnittlich viel bewegt, zum Beispiel im sozialen und pädagogischen Bereich, sondern sind auch heute vielen Bereichen innovativ und engagiert. Die Schweiz würde ein Stück lebenswerter, offener, lebensbejahender.
Mit „Kickoff 2008“ leisten die SEA und viele örtliche Gemeinden während der Euro einen Grosseinsatz. Ihre Zwischenbilanz?
Die Aktion scheint ein Erfolg zu werden. Viele Gemeinden nutzen dieses grosse gesellschaftliche Happening, um sich selber einzubringen. Sie wollen sich nicht einfach abgrenzen, sondern signalisieren, dass sie sich als Teil des Fussballvolkes, als Teil dieser Gesellschaft verstehen.
Was könnte die SEA vom Fussball lernen?
Dass man nur in einem Team, in dem jeder einzelne seine Position gut ausfüllt, gemeinsam grosse Ziele erreichen kann.
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